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Fest der Freiheit

Der Anlass

Eigentlich stand die Idee eines Festes zum Verfassungstag sehr schnell im Raum. Schon in der Ankün­di­gung der ersten Veranstaltung zum 27. Januar, im Jahr 1998, wurde festgehalten:

Der Blick in die Vergangenheit lehrt, und dies ist die zentrale innenpolitische Bedeutung des Geden­kens an die Opfer der "Euthanasie", daß der Schutz von ungeliebten Minderheiten, "fremden" wie eigenen, nichts anderes ist als ein vorweggenommener Selbstschutz: Der Schutz für die eigenen Angehörigen - die behinderte Tochter, den im Koma liegenden Bruder oder die an Alzheimer erkrankten Eltern -, die möglichen Opfer unter den Freunden, den Nachbarn oder im weiteren Bekanntenkreis. Schließlich auch: Selbstschutz im Wortsinne, für einen selbst!

Um hier die erforderlichen Brandmauern einziehen zu können, um die erforderlichen Gegenkräfte auf­bauen zu können, sind abgedroschene Phrasen wieder mit Sinn und Leben zu erfüllen: Die Grundrechte sind unteilbar!

(Quelle: Ein bitteres Erbe und neu aufkommende Gefahren, 1998, S. 1 und 4)

 

Dass es von der Entwicklung einer konkreteren Idee - zwei Jahre später - bis zur ersten erfolgreichen Umsetzung dann noch einmal 10 Jahre dauern würde, damit hatte niemand gerechnet.

Daher eine berechtigte Vermutung zu den wirklichen, d.h. den unausgesprochen Hindernissen, die in den Jahren um die Jahrtausendwende einer Umsetzung im Wege standen:

Bei allen Gegensätzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der untergegangenen DDR darf eine entscheidende Gemeinsamkeit nicht übersehen werden: Auch wenn von westlicher Seite die per­sönliche Freiheit das ideologische Banner in der Auseinandersetzung war, das scharfe Schwert in der Auseinandersetzung war das Versorgungsniveau. Reisekapitalismus im Kampf gegen Broiler­kommu­nismus, das war die entscheidende Frontlinie. Für die BRD-Bürger war die Konfliktanlage mit der beruhigenden Konstruktion verbunden: Politisch-moralische Überlegenheit paart sich mit wirtschaftlichem Vorsprung für die Einzelnen. Für die DDRler sah die demütigende Formel genau entgegengesetzt aus: Wirtschaftliche Nobodies aus der Welt von Plaste und Elaste und dafür auch noch Katzbuckeln beim Parteisekretär.

Dabei hatte die alte DDR, im Rückblick betrachtet, für die Mehrheit der Bevölkerung weniger zu bieten als der Westen, jedoch mehr als sich die meisten DDR-Bürger eingestehen wollten. Der Lebensstandard war im Weltmaßstab ganz ordentlich und die staatliche Zwangsbeglückung - nachträglich als "Solidarität" verklärt - ersparte viele Sorgen, wenn auch auf einem niedrigem Niveau. Der Mangel an politischer Freiheit, unter dem litten existentiell nur wenige. Wie in fast allen Diktaturen!

In der Wirtschaftswunderdemokratie des Westens beruhte die politische Integration der Staatsbürger auf der Erfüllung eines Versorgungsdenkens der (Privat-) Bürger, und zwar so weitgehend, daß in der alten Bundesrepublik schon fast eine offiziöse Selbstwahrnehmung bestand: Wir sind eine Schönwetter­ver­an­stal­tung. Wenn das Wetter rauh wird, dann haben die Radikalen aller Seiten wieder Zulauf, dann ...

Das Wetter wurde rauh - aber anders, als alle dachten. Ein neuer Staat entstand in den Jahren 1989 / 90, genauer wuchs er aus dem alten hervor, mit diesem neuen Staat konnten oder wollten sich hernach nur recht wenige emotional identifizieren.

Die Freiheit, wie schon gesagt: das Banner des Westens, siegte zwar, aber die Staatsbürger auf beiden Seiten dachten wie bisher als Privatbürger, also an die Versorgung. Und stellten fest: Diese Einheit war für beide Seiten ein Zuschußgeschäft - zumindest, wenn das Anspruchsniveau auf beiden Seiten als Maßstab genommen wird.

Daher entstand in diesen Tagen schrittweise ein Staat, der letztlich wie die alte DDR, für erhebliche Teile der Bevölkerung durch kein ideelles Element (mehr) legitimiert zu sein schien, und dem, sofern es dem einzelnen nicht so ergeht, wie dieser es wünscht, halt der Unwille (Wahlenthaltung) oder auch die Empörung (Protestwahl zur Zeit nach rechtsaußen) gezeigt wird. Das ging jetzt ja auch "drüben". Meinungsfreiheit hatte man da ja jetzt auch.

Anders gesagt: Der Bürger der neuen Bundesrepublik wollte umworben sein, er hat ein Art anerkanntes Recht auf seine Käuflichkeit. Dienst am Staat, Wehrpflicht und Zivildienst: Alles Zöpfe von gestern. Einsatz für die res publica, die tägliche Auseinandersetzung mit dem politischen Irrtum beim Nachbarn, Kampf gegen den Rechtsextremismus: Nicht mein Ding, die Sache besoldeter Sozialarbeiter.

Unausgesprochen hieß es auf allen Seiten, in einem stetig wachsenden Chor: Dies ist nicht der Staat, von dem ich träume, daher ist es nicht mein Staat.

Die Wirkkräfte der Vergangenheit lassen sich schnell ausmachen: Die nur schwache Freiheitstradition in Deutschland, das Scheitern der demokratischen Revolutionen von 1848 / 49, die unglückliche Geschichte der Weimarer Republik ... - ein Grundproblem, das in der Arbeit der RAG Rhein-Ruhr West von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V., immer Berücksichtigung fand:

Deutschland hat in kaum 200 Jahren in mehreren Umwälzungen den Umbruch von einer zerstückelten Kleinstaaterei mit mehr oder weniger despotischen Herrschaften auf agrarischer Basis hin zu einem modernen Industrieland mit einem freiheitlich-demokratisch organisierten Staatswesen mehr erlitten als erkämpft. Auch wenn die Deutschen - oder besser die Mehrheit der Deutschen unter Einschluß von relevanten Teilen der Eliten - ihre Freiheit letztlich verspielt hatten, so heißt dies nicht, daß es keine Freiheitsgeschichte der Deutschen gibt.

Den Bogen zu spannen und auch für junge Menschen anschaulich und nachvollziehbar auszugestalten, bleibt eine beständige Aufgabe. Mit den Worten von Joachim Gauck: Ein Widerstand von dem man nicht erzählt, war für die Katz. Dabei liegen in der Dokumentation und Vermittlung von Widerstand, in der Vermittlung der eigenen Freiheitsgeschichte die eigentlichen politischen und pädagogischen Möglichkeiten. Aus einem Schreiben an die Schulleiter in den Städten Düsseldorf, Duisburg, Mülheim und Oberhausen:

Schwerpunkt unserer regionalen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit dem fatalen Erbe des Nationalsozialismus, insbesondere durch kontinuierliche Aktivitäten zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, dem 27. Januar. Daneben setzen wir uns auch beständig mit den anderen Formen despotischer Herrschaft auseinander. Nicht zuletzt aus jugendpolitischen Gründen haben wir ein starkes Gewicht hierbei darauf gelegt, ein Bewußtsein um die positiven Traditionen des anderen Deutschland während der Weimarer Republik, in Exil und Widerstand zu pflegen. Positive Botschaften orientieren präziser als negative - jemand, der weiß, was er nicht tun soll, weiß nicht zwingend, was er tun soll.

(Quelle: "Erinnern und Begreifen" -Bisherige und künftige Aktivitäten der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Ruhr West; Unterlagen für die Mitgliederversammlung vom 29. September 2005, S. 44)

 

Nur, wenn in den anderen Nationen, bezogen auf ihre Freiheitsgeschichte, aus ihren halben Anläufen der ganze künftige Weg herausgelesen wird, ist in Deutschland die entgegengesetzte Lesart vorherrschend. Im eigenen Rückblick wird aus einem Scheitern schnell ein blamables Nichts.

Mit diesem intellektuellen Arsenal ließ sich der Rechtsextremismus nicht niederkämpfen. Im Kampf der Ideen muß schon die eine oder andere, die man selber vorträgt, zünden. Schon 1998 ließ sich daher auch eine Prognose bezüglich des Erfolges der einseitigen Kriminalisierungsstrategie treffen:

Haben die braunen Jugendbanden erst einmal ihre politischen "Flegeljahre" überwunden, brau­chen sie nur noch die Überzeugungen organisieren, die sie massenhaft vorfinden, brauchen sie nur noch eine Ernte einfahren, die andere ausgesät haben.

(Quelle: Ein bitteres Erbe und neu aufkommende Gefahren, 1998, und 4)

 

Als die eigentliche Aufgabe wurde hierbei festgehalten:

Der "27. Januar" sinnvoll begangen, ist kein Tag bloßer Trauer, es ist zugleich ein Gedenktag an die Befrei­ung Europas, damit auch der Deutschen. Er weist nach vorne, er benennt die Zukunfts­aufgaben: Die Freiheit, die den Deutschen von den Allierten geschenkt wurde, nicht abermals zu verspielen.

(Quelle: Ein bitteres Erbe und neu aufkommende Gefahren, 1998, S. 4)

 

Und wie dies zu geschehen habe, konnte auch gesagt werden:

Ohne Schaum vor dem Mund, aber mit Entschlossenheit!

Denn nur, wenn beides an den Tag gelegt wird, argumentative Kraft und nüchternes, bestimmtes Auftreten, werden die vielen braunen und halbbraunen Jüngelchen und Mädchen, die sich wieder einmal anschicken, Geschichte machen zu wollen, vom falschen Trip heruntergeholt. Denn nur, wenn beides an den Tag gelegt wird, werden die vielen älteren, die heute, nicht zuletzt wegen ihrer wirtschaftlichen Sorgen und Ängste, wieder einmal damit beginnen, darüber nachzudenken, wen sie wie hinweg"rationalisieren" können, daran gehindert werden können, mitzulaufen - und hinterher nichts davon gewollt zu haben.

(Quelle: Ein bitteres Erbe und neu aufkommende Gefahren, 1998, S. 4)